Aus Norddeutschland kommend, ist Bayern mit seinen allgegenwärtigen Jesus-am-Kreuz-Darstellungen und Madonnen an (fast) jeder Ecke auch ganz schön exotisch. Der nicht sehr große, eng belegte Bergfriedhof in Ruhpolding südöstlich vom Chiemsee hat Grabkreuze und -steine in unendlich vielen Varianten. Da er denkmalgeschützt ist, muss man sich um seinen Fortbestand wohl keine Sorgen machen.
Im August 2024 laufe ich von der Pfarrkirche Sankt Georg an der unteren Friedhofsmauer entlang und betrete den Friedhof sozusagen durch die Hintertür. Ist es Zufall, dass ich als erstes auf das Grab von Adam Gorzela treffe? Adam Gorzela hätte gar nicht in Ruhpolding sein sollen. Der in Polen geborene Zwangsarbeiter arbeitet bei einem Bauern und wurde 1943 im Alter von 19 Jahren aufgrund einer wahrscheinlich falschen Anschuldigung erhängt. Mehr zu seiner Geschichte findet sich auf der Website der Grund– und Mittelschule Ruhpolding, wo die Klasse acht im Schuljahr 2019/2020 ein Projekt zum Thema Denkmalschutz gemacht hat und einiges zu den hier bestatteten Menschen zusammengetragen hat.
Von wann wohl die Porzellan-Plakette mit dem Foto Adams und dem P für Pole ist? Darauf steht in polnischer Sprache „Unserem jüngsten Bruder“ 1943.
Opulente Gestaltung
Auffallend sind wirklich die aufwendig und phantasievoll geschmiedeten Kreuze. Auf dem linken Bild ist die Grabstelle von Dr. med. Caspar Otto Bolko Freiherr von Zedlitz und Neukirch aus Schlesien zu sehen. Obwohl er aus einem alten Adelsgeschlecht stammt, kann ich nicht viel über ihn herausfinden. Zusammen mit seiner Frau Ingeborg hat er 1997 die Schrift „Die Zedlitze in Schlesien“ herausgegeben.
Auf einer Bank an der zartgelben Gruftkapelle, die auf das Jahr 1758 zurückgeht, sitzt eine Frau und genießt den Blick auf die Berge / die Sonne / die Stille. Vielleicht meditiert sie auch oder denkt an jemanden. Die Tür zur Kapelle ist offen, in der Mitte des Innenraumes eine eingefriedete Grabplatte mit zwei Pflanzenschalen darauf. Seit 1957 finden die Ruhpoldinger Pfarrer in der Gruft der Friedhofskapelle ihre letzte Ruhestätte. An den weißen Wänden sind verschiedene rötliche Mamortafeln angebracht: ein Relief, das einen Pilger mit Rosenkranz, Hut und Wanderstab zeigt. Es ist die Kopie eines Rotmarmorepitaphs, das in der Klosterkirche St. Lambert in Seeon zu finden ist. Eine Tafel mit den Namen der hier bestatteten Priester und eine kleinere zur Erinnerung an den ehemaligen Reichskanzler (1. November 1917 bis 30. September 1918) Georg Graf von Hertling, gestorben am 4. Januar 1919.
Am Bemerkenswertesten aber ist die kleine, gräuliche Mamorplatte darunter, auf der steht: Miss Hammond, 24.3.1868, gestorben am 25. Oktober 43 (oder 48?). New York – Ruhpolding. WER WAR Miss Hammond? War die offensichtlich Unverheiratete auf der Durchreise? Es ist wie immer: Auf jedem Friedhofsbesuch lernt man etwas dazu, meist über die Regionalgeschichte, und dann gibt es immer wieder kleine und große Fragezeichen und Geheimnisse! Im Internet fand ich nichts zu ihr.
Auf Nachfrage erhielt ich folgende Email aus dem Pfarrsekretariat Ruhpolding: „In unserem Sterbebuch gibt es nur folgenden Eintrag im Jahr 1943: ‚Frau Katharina Hammond stammte aus Amerika, lebte aber schon seit 50 Jahren hier. War eine sehr aufrichtige und überaus „wohltätige“ (nicht gut lesbar) feine Dame. Sie war eine große Wohltäterin der Kirche.'“
Nun, dass sie eine „große Wohltäterin“ war, erklärt sicher, warum die Plakette in der Gruftkapelle hängt.
Darüber hinaus hat die Kapelle noch interessante Deckenmalereien.
Bauer und Politiker
Der ernste, fast entrückt wirkende Herr auf diesem Emaillebild ist der langjährige Bürgermeister Ruhpoldings (1905-1919), Landtags- und Reichstagsabgeordnete Georg Eisenberger – genannt „Hutzenauer“. Obwohl er aus „einfachen Verhältnissen“ stammte, war er von 1901 bis 1930 erster Vorsitzender des Bayrischen Bauernbundes und offensichtlich politisch recht aktiv. Auch bei Sitzungen des Reichtags in Berlin trug er seine Bauerntracht. Was ihn weiterhin auszeichnet, ist seine Ablehnung der Nazis. Eine interessante Persönlichkeit.
Die Posthalter von Ruhpolding
Der Gasthof Zur Post ist schon „lange“ im Besitz der Familie Rechl. Seit dem 17. Jahrhundert laut Wikipedia, seit „über 100 Jahren“ laut Hotelwebsite… Sie dürfen wählen… Auf den Grabsteinen geht die Familiengeschichte „nur“ auf das Jahr 1815, Geburtsdatum des Georg Rechl Amerang, der auch nur 34 Jahre alt wurde, zurück.
Kriegstote
Links mehrere Generationen von Schuhmachermeistern mit einem Kriegstoten: „unser lieber einziger Sohn (…) gestorben (…) im Blütenalter von 18 Jahren“.
Rechts: wahrscheinlich vier Brüder der Familie Haßlberger, geboren 1903, 1913, 1919 und 1921, gestorben 1942 in Russland, 1944 in Ungarn, 1944 in Serbien und 1945 im Lager in Yugoslawien.
Das sind fünf von 201 Ruhpoldingern, die im Zweiten Weltkrieg „gefallen“ sind. 58 wurden als vermisst gemeldet.
Mein Blick gilt ja bei Friedhöfen auch immer der Frage, wie sich an diesen Orten Transnationales (oder Transkulturelles) zeigt – abgesehen von Miss Hammond ist es hier also leider wieder der Krieg, der Bezüge über die Region hinaus hergestellt hat.
Steinmetze, Schmiede, Holzschnitzer
Ihre Arbeiten machen den Ort zu einem eigenen Kunstwerk, einer Freiluftausstellung, die immer wieder kleine und große Überraschungen bereit hält und den Trauernden hoffentlich auch Trost spendet. Und ich denke an eine Zeile aus einem Lied von Victor Jara: „El hombre es un creador..“ Der Mensch ist ein Schaffender.
Viele der Grabdenkmäler wurden vom Ruhpoldinger Künstler und Bildhauer Andreas Schwarzkopf (1902-1991) gestaltet.
Noch mehr Schnitzwerk…
Natürlich gäbe es noch viel mehr zu schreiben, aber es ist wie so oft viel zu viel, und über Manches wurde auch schon hier und da etwas veröffentlicht bzw. lässt sich im Internet recherchieren. Auf jeden Fall ein Friedhof, dessen Besuch sich lohnt, und für den man ein wenig Zeit mitbringen sollte.
Hallo Frau Blaschke!
Leider kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Die Frage, die ich zu Miss Hammond hatte, wurde mir von der Pfarrkirchenstiftung St. Georg beantwortet. Die Emailadresse war
st-georg.ruhpolding@ebmuc.de
Ich habe im Internet eine Friedhofssatzung der Gemeinde Ruhpolding gefunden, nach der Erdbestattungen durchaus möglich sind. Es kann aber sein, dass die sich auf den Neuen Friedhof bezieht. Im Katholischen war die Erdbestattung immer die Regel, das wird bestimmt möglich sein, denke ich.
Mein Eindruck anhand vieler Sterbedaten aus neuerer Zeit war aber schon der, das auch auf dem Bergfriedhof noch bestattet wird.
Danke für Ihr Interesse!
Alls Gute! Maja Linnemann
Hallo, ich habe am Mittwoch den Ruhpoldinger Bergfriedhof besucht und war total über-
rascht wie schön gelegen und ruhig der Friedhof liegt ein wirklich schöner Kraftort.
Mich hat allerdings die Frage wie die Beerdingung im Sarg vonstatten geht sehr beschäftigt.
Oder sind alles nur Urnengräber.
ich würde mich über eine Antwort sehr freuen
LG