Mut zur Farbe, dachte ich beim Besuch des kleinen Friedhofs in Porvenir, der die Spuren der Einwanderungsgeschichte der Region verewigt.
Zwei Stunden dauert die Fahrt mit der Fähre von Punta Arenas über die Magellanstraße. Vom Hafen sind es noch ein paar Kilometer in den Ort mit knapp 5000 Einwohnern, der sich an einer geschützten Bucht entlang zieht. Gegründet wurde Porvenir am 20. Juni 1894, nachdem infolge eines kurzen Goldrauschs Einwanderer aus Europa – Kroatien – und von der Insel Chiloé nach Feuerland gekommen waren.




Der Eingang des Friedhofs von Porvenir auf der Isla Grande von Feuerland – von außen und von innen. Die Innenseite der Umrandungsmauer sind Kolumbariumfächer. Alle Fotos: © Maja Linnemann 2025

Zwischen den Mausoleen der wohlhabenden und reichen Familien gibt es auch kleine dimensionierte Reihengräber.

Im hinteren Bereich sind die Grabstätten noch etwas einfacher. Die Verwendung von niedrigen Zäunen als Abgrenzung war mir auch sich auch auf dem Tierfriedhof in Punta Arenas aufgefallen.
Repräsentative Familienmausoleen
Die Mausoleen der eher Wohlhabenden kommen auch in ganz unterschiedlichen Designs.




Links unten: Familien Kovacic und Ivanovic. Rechts unten: Familie Maslov.
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts machten sich viele Kroaten aus der damaligen Österreich-ungarischen Monarchie auf den weiten Weg über den Ozean ans „Ende der Welt“. Heute sollen etwa 200.000 Kroaten und ihre Nachkommen in Chile leben, viele in Punta Arenas. Die Dokumentarfilme „Kroatische Gemeinschaft in Chile“ erzählen Lebensgeschichten kroatischer Einwanderer (Der Link führt nicht zu den Filmen, die wahrscheinlich auch nur auf Spanisch und vielleicht kroatisch zu sehen sind.).

Wie ein Dorf für die Toten

Mut zur Farbe auf dem Friedhof






Links: „Modernes“ Design mit Kacheln. Rechts: Verblichene Madonna auf Zaun.
Die Kolumbariumfächer mit ihren Glasfenstern bieten Platz für individuelle Erinnerungscollagen. Manchmal entstehen regelrechte Gedenklandschaften.


Das Leben dieser zwei Herren war sicherlich eng mit der Viehzucht verbunden.


Wessen Geschichte?
Der Friedhof bildet nur die jüngere bzw. nur einen Teil der Geschichte der Region ab. Die ursprünglichen Bewohner Feuerlands, die Selk’nam, trifft man hier nicht. Wie weit ihre Siedlungsgeschichte zurückreicht, ist nicht bekannt, aber ab den 1880ern wurden sie verfolgt und ermordet und später in Lager umgesiedelt. Sie verloren ihr Land und konnten nicht mehr als nomadisierende Jäger leben wie in den Jahrhunderten vor der europäischen Besiedlung. 1925 starb der Großteil der Überlebenden an einer Masernepidemie. Ihre Kultur, vor allem die sich über Monate hinziehende Zeremonie zur Initiation junger Männer, als Hain bezeichnet, wurde von dem deutschen Ethnologen und Missionar Martin Gusinde dokumentiert und publiziert. Seine Fotos sind heute Grundlage für die Darstellungen in Museen und auf Postkarten.
Wenn es auch auf dem Friedhof keinen Hinweis auf die Selk`nam gibt, so ist die Erinnerung an ihre Existenz vor allem durch die Abbildungen ihrer verschiedenen Geister/Gottheiten, die in der Hain-Zeremonie ein große Rolle spielten, nicht nur im Stadtbild von Porvenir äußerst präsent.



Kulturerbe der Selk’nam im Stadtbild. Links oben: Straßenschilder in Porvenir, rechts oben: Statuengruppe auf der Plaza Selk’nam. Unten: Wandmalerei an der Küstenstraße.

Nachbildungen von Geisterfiguren der Selk’nam in einem Souvenirladen in Punta Arenas
Im Museo Municipal Fernando Cordero Rusque in Porvenir (aber auch im Museum von Puerto Natales, welches sich mehr den an den Küsten lebenden Kawésqar widmet) wird die Vernichtung der Ureinwohner im Süden des südamerikanischen Kontinents durch die europäischen Einwanderer (Goldsucher und Schafzüchter) als Genozid bezeichnet. Wenn ich mich recht erinnere, war es in diesem Museum, wo Tonaufnahmen der letzten Selk’nam-Frau zu hören sind, die noch persönlich Zeugin einer der letzten Hain-Zeremonien gewesen war und die traditionellen Gesänge reproduzieren konnte. Mehr zu den Selk’nam bei WIkipedia, wo sich auch ein Absatz zu den Bestattungsriten findet.

Auch im Hof des Stadtmuseums von Porvenir wird an die Ureinwohner der Region, die Selk’nam erinnert.