Da ich in den letzten Wochen mehrmals Nachrichten las und hörte, dass unser Weihnachtsfest vom Mangel an Waren – sprich Geschenken – bedroht sei, möchte ich hier die Lanze für das BUCH brechen, von dem man auch immer wieder liest, es sei vom Aussterben bedroht. Es liegt mir wirklich sehr am Herzen, das Bücher gekauft und gelesen werden und AutorInnen, ÜbersetzerInnen, Verlage und Buchhandlungen leben und überleben können!
Meine kleine Bibliothek zu den Themen Friedhof und Tod ist in den letzten Jahren ziemlich angewachsen, aber ich muss gleich gestehen, dass ich leider noch nicht alles gelesen habe. Der Blick auf den Bücherstapel auf meinem Schreibtisch zeigt mir, dass es eine ganz schöne Bandbreite an Perspektiven gibt, sich den Orten der „letzten Ruhe“ zu nähern….
Vielleicht ist ja die eine oder andere Geschenkidee dabei… Und man kann sich ja auch selber beschenken!
Das Buch „Wo die Toten tanzen. Wie rund um die Welt gestorben und getrauert wird“, recherchiert und geschrieben von der in Los Angeles lebenden Bestatterin Caitlin Doughty, hatte ich schon im März vorgestellt.
Hier beginne ich nun mit den Spezialfällen:
Michele Primi: Mythen & Tragödien. Rock ’n Roll
Ein Buch über 63 Musiker, Stars des Rock ’n Roll, Blues, Reggae, Pop, die zwischen 1938 (Robert Johnson) und 2012 ( Whytney Houston) gestorben sind, die meisten gefühlsmäßig irgendwie zu früh. Ich gebe zu, ich kenne nicht alle. Oft waren es Drogen, die zum Tod führten, aber auch erstaunlich viele Verkehrsunfälle (Eddie Cochran, Pete de Freitas, Marc Bolan, Cliff Buton) und Flugzeugabstürze (Buddy Holly, Otis Redding, Steve Ray Vaughan). Nur bei manchen gibt es Informationen zur letzten Ruhestätte: Brian Jones (1942-1969) von den Rolling Stones wurde in einem Bronzesarg in Cheltenham/ England bestattet, der Grabstein ist schlicht und unspektakulär: „In Affectionate Remembrance of BRIAN JONES, born 28th february 1942, died 3rd july 1969 at Hartfield Sussex.“
Ottis Redding (1941-1967) wurde auf seiner Farm begraben, was in den USA nicht ungewöhnlich zu sein: Auch in dem Film „The Rider“ von Chloé Zhao (2017), der unter Rodeo-Reitern in South Dakota spielt, sind Familiengräber auf dem Farmland zu sehen. Feddy Mercury (1946-1991) wurde eingeäschert und „die Zeremonie folgte den Riten des Zarathustrismus, der Religion seiner Eltern.“ Wo die Asche verblieben ist, ist ein Geheimnis. Die Asche von Janis Joplin kann nicht mehr gefunden werden, sie wurde über dem Pazifik verstreut. Bob Marley (dessen Todestag sich am 11. Mai 2021 zum 40. Mal gejährt hatte) starb an einem Tumor im großen Zeh (man mag es kaum glauben) und wurde kurz vor seinem Tod in Bayern am Tegernsee (»Man, Rottach-Egern! Der kälteste Ort, an dem ich je war«) behandelt. Er war wohl einer von wenigen Rock-/Reggae-Musik-Stars, der ein Staatsbegräbnis erhielt.
Dies sind nur einige Details aus dem Buch, das sich letztlich doch mehr den wilden, tragischen Lebenswegen der Künstler widmet als ihrem Ende, und vor allem auch ihrem musikalischen Erbe, weswegen wir uns ja heute überhaupt noch an sie erinnern. Ich denke, Musikfans werden vor allem auch die vielen Bilder schätzen, die Erinnerungen an eine aufregende Zeit wachrufen. Auf der Verlagswebsite gibt es einen Blick ins Buch.
Michele Primi: Rock’n’Roll – Mythen & Tragödien: Erfolg ist eine Maschine, die dich zerstören kann. 272 Seiten, 232 Farbfotos, Heel Verlag, 2014 (deutsche Ausgabe, Übersetzung: Marianne Harms-Nicolai/Bigti Adam) ISBN 978-3-86852-983-8
Peter Cardoff & Conny Böttger: Der letzte Pass
Zwar bin ich selber nur marginal an Fußball interessiert bin, aber da dieser Sport ja viele Menschen emotional anspricht, lokale Identität prägt und offensichtlich so wichtig ist, dass er sogar fast täglich Teil der TV-Nachrichten ist, war ich gar nicht so überrascht, dass es auch ein Buch zu „Fußball & Friedhof“ gibt. „Der letzte Pass. Fußballzauber in Friedhofswelten“ widmet sich den Gedenkkulturen im Fußball, nicht nur auf Grabsteinen, sondern auch im Stadion und darüber hinaus. In 40 Kapiteln, die eher philosophisch-kommentierend daher kommen als nur nüchterne Fakten zu liefern, geht es um die Gestaltung von Gräbern, Beerdigungsrituale und Todesmythen. Von den legendären Fußballspielern sind mir noch weniger Namen geläufig, als bei den Rockmusikern. Zu den wenigen gehört Fritz Walter (1920-2002), dem mit dem Film „Wunder von Bern“ (indirekt) ein Denkmal gesetzt wurde, das ihn auch in jüngeren und breiteren Bevölkerungsgruppen bekannt machte. Der Mannschaftkapitän der deutschen Mannschaft, der 1954 am Weltmeistersieg gegen Ungarn beteiligt war, wurde in seiner Geburtsstadt Kaiserslautern auf dem Hauptfriedhof begraben. Sein Grabstein trägt ein großes Foto und seitlich daneben eine Fußballerstatue auf einem Sockel, die etwas klein geraten wirkt. Hier gibt’s ein Foto von Fritz Walters Grab und mehr Infos.
Ein lohnendes Ziel für fußballinteressierte Friedhofsgänger dürfte Wien sein. „Der letzte Pass“ stellt u.a. Matthias Sindelar (1903-1939, eigentlich tschechisch: Matěj Šindelář) vor, das größte Fußballidol Österreichs. Besonders erfolgreich spielte er in den 1930er Jahren als Mittelstürmer bei Wiener Austria. Er starb kurz nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland unter ungeklärten Umständen zusammen mit seiner Geliebten an einer Kohlenmonoxidvergiftung und wurde auf dem Zentralfriedhof Wien mit einer Feier bestattet, die „einem Staatsbegräbnis gleichkam.“ Sein Grab wurde zu einer Kultstätte.
Auch über zwei tragische Flugzeugabstürze, die den Fußball in Europa Mitte des letzten Jahrhunderts trafen, schreiben die Autoren: Am 4. Mai 1949 kam die gesamte Mannschaft des AC Turin nahe Turin um, am 6. Februar 1958 ein Teil des Teams von Manchester United in München. Dabei geht es auch um die Gedenkkultur und das „Erinnerungsmanagement“, die sich in Folge der Katastrophen herausbildeten.
Wie auch der Rock’n Roll-Band, hat „Der letzte Pass“ viele Bilder, nicht nur von Grabsteinen. Auf Seite 184 ist eine interessante Grabmalinschrift zu sehen, die für einen Fußballer äußerst passend klingt: „Paul Mücke. Eingewechselt 28.01.1939. Ausgewechselt 13.10.2002.“ Obwohl es sich um ein Foto von einem realen Ort zu handeln scheint, sagt die Bildunterschrift aber „Anzeige im Kicker 30. September 2002“. Nur wirkt das Bild eigentlich gar nicht wie eine Anzeige – aber einen „Paul Mücke“ mit diesen Daten habe ich auch nicht gefunden. Der Begleittext gibt keine Aufklärung, um was für eine Art „Anzeige“ es sich gehandelt haben mag, und was der Kontext war. War es die Werbung eines Bestattungsunternehmens?
Überhaupt: Mir war der anderswo hoch gelobte Stil der Autoren etwas zu verschwurbelt, aber es mag daran liegen, dass mir die Materie nicht nah genug steht und ich daher manche Anspielungen nicht verstanden habe. Ich werde das Buch nun einem Fußballfan aus der Familie schenken und bin auf dessen Einschätzung gespannt!
Peter Cardorff & Conny Böttger: „Der letzte Pass. Fußballzauber in Friedhofswelten – Zuschauer erwünscht“ Verlag die Werkstatt 2005. Hardcover 7,99 €