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Shanghai. Fushouyuan 福寿园 Teil I

Shanghai im April 2024, ein sonniger Nachmittag wenige Tage nach dem Totengedenkfest Qingming. Eigentlich wollte ich ENDLICH das Shanghai Funeral Museum besuchen, fahre aber aus Versehen statt zum Longhua Binyiguan (Longhua Bestattungsinstitut) zum Fushouyuan, oder „Garten des Glücks und des langen Lebens“ im Qingpu 青浦 Distrikt. Wie die meisten Friedhöfe in chinesischen Großstädten liegt er ziemlich weit draußen – vom Bund aus sind es rund 50 Kilometer dorthin.

1994 gegründet, ist der Fushouyuan in China ein Modellfriedhof. Das Eingangsfoto zeigt nur den Plan des westlichen Abschnitts, es gibt noch einen ebenso großen im Osten (der Plan ist nicht nach Norden ausgerichtet, sondern nach Westen!). Getrennt sind beide durch die Zufahrtsstraße, mit ausreichend Parkplätzen. Es gibt mehrere durchnummerierte Eingangstore.

Der Taxifahrer setzt mich am Tor Nr. 1 ab und ich betrete das Gelände durch ein großes mehrbogiges Ehrentor, ein pailou. Rechts befindet sich die Rezeption, links ein Blumengeschäft. Es ist nicht viel los. Nach Westen blickend ziehen zwei auffällige, goldfarbene Wächterfiguren meinen Blick auf sich. Sie bewachen eine Halle am Ende des großen Platzes, die mehrere Buddha-Statuen und 18 Arhats beherbergt. Der Fushoutang Tempel wurde 1996 von Meister Mingyang geweiht, so heißt es auf einer Tafel in Englisch. Der erste Eindruck ist also, dass auch dieser vielleicht modernste Friedhof Chinas mit traditionellen chinesischen Elementen arbeitet und der Religion einen Platz einräumt.

Hinter der Halle erhebt sich ein etwa zehnstöckiges Gebäude aus erdfarbenen Ziegeln mit einem Aufsatz, der ein klassisches chinesisches Dach mit gelben Dachziegeln und geschwungenenen Ecken darstellt. Es ist eine vertikale Urnenhalle, täglich geöffnet von 8-16:30 Uhr.

Hinter dem Kolumbarium laufe ich durch verschiedene Anlagen von Reihengräbern, die in sich jeweils relativ homogen gestaltet und durch Hecken voneinander abgetrennt sind. Bei den Steinen dominiert politierter schwarzer Granit (wegen der Spiegelungen extrem schwer zu fotografieren, wenn ich nicht aufpasse, bin ich immer selbst im Bild). Zwischen die Reihengräber sind auch Areale mit „platzsparenden“ Grabstellen eingestreut, die das aufkommende Gefühl von Eintönigkeit etwas auflockern.

Die chinesische Regierung propagiert und fördert seit Jahren „grüne“ bzw. ökologische Bestattungen. Eines der Kriterien für „ökologisch“ ist, dass sie wenig Platz verbrauchen (shengtai jiedi zang 生态节地葬). Hier ein paar Beispiele, wie das am Fushouyuan umgesetzt wird. Könnte auch in Deutschland sein.

Fushouyuan: Das künstlerische Areal

Während Urnenhalle und Reihengräber für Kreti und Pleti – auf Chinesich „die alten hundert Namen 老百姓“: Li, Liu, Wang, Zhao und so weiter – reichen müssen (und wahrscheinlich auch teuer genug sind), bemüht sich das Friedhofsmanagement, die Attraktivität der Anlage durch ein wenig Glamour zu erhöhen, indem sie Prominenten eine letzte Ruhestätte bietet (wie das genau abläuft und ob und welche finanziellen Transaktionen ablaufen, kann ich nicht sagen). Prominente haben größere Grabstätten und individuell gestaltete Grabmale, denen der sparsame Umgang mit Ressourcen fremd ist. Ich sehe viele große Steine mit einem Porträt des Verstorbenen, aber auch Büsten und lebensgroße Ganzkörperskulpturen. Die Grabmale machen oft bereits von Weitem deutlich, welchen Beruf der Verstorbene ausgeübt hat oder in welcher Branche er – seltener: sie – gearbeitet hat. Oft werden Details aus ihrem/seinem Werk oder ihrem/seinem Lebenslauf dargestellt, die auf mich sehr kleinteilig wirken, wie eine Auswahl der Bücher, die Herr Ye geschrieben hat.

In „The Funeral of Mr. Wang: Life, Death, and Ghosts in Urbanizing China“, erschienen 2021, nennt der Autor Andrew Kipnis den Fushouyuan einen Elite-Friedhof. Weil er keine lange Geschichte habe (er wurde 1994 gegründet), habe sich das Management agressiv um die Aschen von Berühmtheiten, hohen Staatsdienersn und Nationalhelden bemüht, und behaupte, mehr als 600 Prominenten eine letzte Ruhestätte zu bieten, die nun eine wünschenswerte „Nachbarschaft“ darstellen.

The particular mix of memorial activities, museum displays, and Party-loving patriotism at the cemetery reflects the social conditions of Shanghai’s elite at this moment in history.

Kipnis, Funeral of Mr. Wang, S. 46

Hier tummelt sich die Film-Welt

Die Marketing-Managerin des Fushouyuan, Yi Hua, erzählte in einem Interview vom April 2020 (im Oktober 2024 leider nicht mehr online), dass sie bei Besuchen auf Friedhöfen in den USA, Australien, Japan und Neuseeland am Anfang ihrer Berufslaufbahn begriffen habe, dass ein Friedhof auch ein Ort des kulturellen Gedächtnisses einer Stadt oder sogar eines Landes sein könne. Daher habe sie versucht, diese unterschiedlichen Funktionen auch auf dem Fushouyuan zu verwirklichen.

Porträt der Schauspielerin Ruan Lingyu im „Humanism Memorial Museum“ Renwen Jinianguan 人文纪念馆

Mit Unterstützung der Shanghaier Filmvereinigung ließ sie eine Statue der Schauspielerin Ruan Lingyu, die 1935 in Shanghai Selbstmord begangen hatte, errichten. Dies überzeugte in der Folge zeitgenössische Filmstars und Theatergrößen in Shanghai, den Fushouyuan für sich als letzte Ruhestätte zu wählen.

Im „Humanism Memorial Museum“ Renwen Jinianguan, welches sich im Ostteil des Friedhofs befindet, werden persönliche Gegenstände mancher Prominenter ausgestellt.

Aber nicht nur Größen der Filmbranche haben auf dem Fushouyuan ihre letzte Ruhe gefunden, sondern auch Wissenschaftler:innen, Ärzt:innen, Schachspieler und Einzelschicksale.

Ein Wissenschaftlerehepaar (beim Schreiben der Einkaufsliste?)

In einem weiteren Beitrag Shanghai. Fushouyuan, Teil II: Gestaltung gehe ich noch ein wenig auf die Anlage und die „Deko-Elemente“ ein, die den Fushouyuan Cemetery zu einem Park-Friedhof machen (sollen).

Adresse des Friedhofs: Shanghai Qingpu Distrikt, Waiqingsong Road 7270-600.
青浦园区:上海市外青松公路7270弄600号

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