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Beerdigung im Ruhewald

Am Samstag den 19. Juni war ich das erste Mal bei einer Bestattung in einem Ruheforst (automatisch hätte ich jetzt ‚Friedwald‘ schreiben wollen, aber beim Friedwald handelt es sich nicht um einen generischen Begriff, sondern um ein eingetragenes Markenzeichen bzw. den Namen einer Firma).

Vor über einem Monat hörte ich, dass eine alte Freundin von mir gestorben war. Es ist über 30 Jahre her, dass sie und ich regelmäßig und intensiv Kontakt hatten, und zuletzt hatte ich sie (leider, leider!) 2010 gesehen. Dass sie schon länger krank war, wusste ich nicht, daher kam die Nachricht für mich mehr als unverhofft. Weil sie erst 61 war, auch VIEL ZU FRÜH, vor allem für ihren Mann Thomas und ihre Schwestern, aber auch für Nichten und Neffen, alte und aktuelle Freunde und Freundinnen und KollegenInnen!! Bis zur Abschiedsfeier vergingen einige Wochen. Ich schaute alte Fotoalben durch und las in Tagebüchern aus den 1980ern und 90ern, um mich an die Zeit zu erinnern, wo Bettina in meinem Leben eine wichtige, und so wie ich es erinnere, auch stabilisierende Rolle hatte. Es gibt Bilder von ihr auf Feten und Geburtstagsfeiern und im Jahr 1988 waren wir scheinbar sehr oft zusammen schwimmen: „bei Wind und Wetter im Stadionbad. Das hat mir viel Spaß gemacht“, so steht es im September 1988 im Tagebuch. Ich hatte das eigentlich vergessen, hätte ich es damals nicht aufgeschrieben, wüsste ich es nicht mehr.

Schön, dass es nette Leute in Bremen gab, deren Verbindung zu Bettina auch etwa in jene Jahre zurückreicht, und mit denen ich zusammen im Auto zum Ruheforst Marklohe bei Nienburg fahren konnte. Naturgemäß haben diese naturnahen Friedhöfe in den meisten Fällen keine Bahnanbindung…

Es war ein sonniger Tag, heiß, aber nicht unerträglich, und unter dem Schatten spendenden Blätterwerk hoher Bäume bei leichtem Wind sehr angenehm. Auch Gewitter waren nicht zu befürchten. Die Trauergäste – gut fünfzig Personen – waren sommerlich-leger gekleidet. Wir halfen, einige Kisten mit Geschirr und Kuchen, Kaffeekannen und Klapptische zum etwas erhöht liegenden Andachtsplatz zu bringen.

Auf dem Andachtsplatz steht ein großes Holzkreuz und davor im Halbkreis vier massive Holzbänke. Die Urne war auf einem Holzklotz seitlich des Kreuzes platziert, eine Frau erzeugte auf einer großen, flachen Schamanentrommel einen Klang, der an einen langsamen Herzschlag erinnerte.

Nach ein paar einführenden Worten durch einen Mann, von dem ich erst später erfuhr, dass er der Gutsbesitzer und Manager des Ruheforstes, Herrn Hans-Jasper von Arenstorff war, hielt eine Trauerrednerin die Trauerrede. Natürlich hatte sie diesen Überblick über die Lebensstationen nach einem Gespräch mit den Angehörigen verfasst – es gab Anekdoten aus Kindheit und Jugend, Geschichten, die für uns Anwesende, die ja oft nur einen bestimmten Lebensabschnitt kannten, neu waren – ich jedenfalls konnte mir gut vorstellen, wie sie mit Thomas und Bettinas zwei Schwestern zusammengesessen hatte, und sich alle gemeinsam erinnert haben.

Im Anschluss begann die Trommlerin wieder ihren dumpfen Rhythmus zu schlagen, Thomas nahm die türkisfarbene Urne und macht sich auf den Weg in Richtung Grabstelle, die hier Ruhebiotop genannt wird. Eigentlich war jeder und jede, die gewollt hätte, aufgefordert, die Urne ein Stück des Weges zu tragen, aber da die Wege schmal und gewunden waren, bot es sich nicht an, von hinten nach vorne zu „drängeln“. Weil es nach meiner Information gesetzlich festgelegt ist, dass Ascheurnen nur von „Experten“ wie Bestattern, Friedhofsmitarbeitern oder Sargträgern „gehändelt“ werden dürfen, fragte ich später die Trauerrednerin danach und sie sagte mir, selbst alteingesessene Bestattungsunternehmen nähmen das nicht mehr so streng.  

Am Fuße einer Eiche war bereits ein Loch ausgehoben, in das die Trauerrednerin die Urne  hinunterließ. Danach traten zuerst Bettinas Mann und ihre Schwestern und nach und nach alle anderen an das Grab, um Blumen oder Erde abzulegen und sich jeder auf seine eigene Weise zu verabschieden. Bis auf die Geräusche des Waldes – Blätterrascheln und Vogelrufe – war es die ganze Zeit über sehr still und die Atmosphäre konzentriert und feierlich. Von den Baumkronen gebrochen drangen die hellen Sonnenstrahlen zu uns. Herr von Arenstorff übernahm es, die Erde über die Urne zu häufeln und befestigte ein Namensschild an der Eiche. Es ist also kein anonymes Grab, sondern kann jederzeit wieder gefunden werden. Zurück blieb ein Flecken Erde voller bunter Blumen. Auch Thomas hat sich seinen Platz direkt daneben schon reserviert und er bleibt ihm für 99 Jahre. In etwa drei Metern teilt sich der Hauptstamm der Eiche in zwei gleichstarke Stämme, es liegt nahe an ein Paar zu denken!

Als Abschluss tranken wir Kaffee und aßen Butterkuchen (das muss sein!) am Andachtsplatz und kamen miteinander ins Gespräch.

Ich habe keine Fotos gemacht, weil ich es am Anfang versäumt hatte, zu fragen, ob es akzeptablel ist. Bilder der Anlage könnt ihr auf der Website des Marklohe Ruheforst sehen.

Liebe Bettina! Natürlich bedauere ich es, dass ich dich in den letzten Jahren nie besucht habe, obwohl ich oft an dich gedacht habe und immer die Idee im Kopf hatte, es irgendwann zu tun, frei nach dem Motto „läuft ja nicht weg.“ Ich bin auch sicher, dass wir trotz der unterschiedlichen Lebenserfahrungen der letzten Jahrzehnte gemeinsame Themen und Interessen gehabt hätten (Kunst, Garten…) Nun ist dir die Zeit doch weggelaufen. Ich muss das so akzeptieren, als Teil einer höchst unvollkommenen Welt, und ich bin nicht einmal sicher, ob ich daraus irgendwelche Lehren ziehen werde. Ich bin froh, dass ich mich unter sehr schönen Umständen von dir verabschieden konnte und werde die zwei Stunden im Wald unter dem sonnenflirrenden Blätterdach der frühlingsfrischen Eichen nicht vergessen. Ich halte es auch gar nicht für ausgeschlossen, dass wir uns in anderer Gestalt wiedertreffen!


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