Der Babaoshan Revolutionsfriedhof (Beijing Babaoshan Geming Gongmu 北京八宝山革命公墓) ist nicht der älteste existierende Friedhof in der chinesischen Hauptstadt, für die Geschichte der letzten 70 Jahre ist er aber der wichtigste.
Hier haben nach der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 viele Mitglieder der Politelite, Befehlshaber der Volksbefreiungsarmee, Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, eine Reihe Ausländer („Freunde Chinas“) und auch nicht wenige Kader mittlerer Ränge ihre letzte Ruhe gefunden. Es handelt sich um einen Ort von großer Bedeutung für das offizielle politische und historische Narrativ und es ist ein Ort, an dem die verschiedenen Kampagnen seit seiner Gründung nicht vorbeigegangen sind.
Entstehung und Geschichte
In einem zweibändigen Werk mit dem Titel „Wahre Geschichten vom Babaoshan“ (Autor: He Huosheng 何虎生: 《八宝山纪实(上下)》), erschienen im Verlag für Parteigeschichte aus dem Jahr 2006 wird die Entstehung des Friedhofs so beschrieben:
Im Dezember 1949, keine drei Monate nach Staatsgründung, soll Premierminister Zhou Enlai den Entschluss gefasst haben, in der Hauptstadt einen Friedhof für die im Widerstand gegen die japanische Besetzung und im nachfolgenden Bürgerkrieg gefallenen Genossen und Genossinnen anzulegen. Er beauftragte den Pekinger Vize-Bürgermeister Wu Han mit der Suche nach einem geeigneten Ort. Wu Han war erstaunt, dass der Präsident bei all seiner Arbeit Zeit fand, sich selbst noch um die Toten zu kümmern, aber Zhou versicherte ihm, dass auf dem neuen Friedhof nicht nur Märtyrer ihre letzte Ruhe finden, sondern auch nachfolgende Generationen junger Chinesen dort im revolutionären Geist erzogen werden sollten. Außerdem solle er eine letzte Heimstätte für die amtierenden hohen Kader und wichtige Persönlichkeiten der VR China werden.
Was waren die Kriterien für diesen Ort? Er sollte nicht zu weit entfernt vom Stadtzentrum liegen und für die Menschen, die an Gedenkveranstaltungen teilnehmen würden, gut erreichbar sein. Außerdem sollte die Umgebung schön sein, aber keinesfalls Ackerland zweckentfremdet werden.
Die Wahl fiel auf den Tempel der Loyalität der Verteidiger des Reiches: Huguo Baozhong Ci, dessen Geschichte auf die Ming-Dynastie zurückging. Hier befand sich das Grab des 1411 verstorbenen Generals Gang Bing 刚炳, der sich aus Loyalität zum Yongle Kaiser selbst kastriert hatte. In den folgenden Jahrhunderten diente der Ort weiteren Eunuchen (dem Personal am Kaiserhof) als letzte Ruhestätte. Nach dem Ende des Kaiserreichs 1912 zogen sich die verbliebenen Eunuchen aus dem Kaiserpalast hierher zurück und machten aus dem Tempel, der am Hang des Babaoshan, zu deutsch „Acht-Schätze-Berg“ liegt, ein florierendes landwirtschaftliches Unternehmen.
Die Eunuchen wurden Anfang der 1950er Jahre umgesiedelt und es begann der Ausbau des Friedhofs, der etwa 14 km westlich vom Zentrum mit der Verbotenen Stadt und dem Tiananmen Platz an der Verlängerung der Südwest-Achse „Straße des Ewigen Friedens (Chang’an Jie) liegt. Ab 1969 konnte der Friedhof mit der ersten U-Bahn-Linie des Landes erreicht werden (Haltestelle: Babaoshan).
In den im Dezember 1951 verabschiedeten vorläufigen Bestimmungen für Bestattungen auf Revolutionsfriedhöfen wurde festgelegt, welche Ansprüche an Lage und Größe ihrer Grabstätte Kader welchen Dienstgrades haben durften. Auf dem Babaoshan Friedhof gab es entsprechend drei Abschnitte: Der erste Abschnitt, der vor dem Tempel angesiedelt ist, war für Funktionäre niederer Ränge vorgesehen. Ihre Gräber durften eine Länge von bis zu viermal vier Metern haben. Im zweiten Abschnitt wurden Funktionäre ab Provinzebene und Armeeangehörige mit entsprechendem Dienstgrad bestattet. Er befindet sich hinter dem Tempel auf der Ostseite. Hier durften die Gräber eine Fläche von etwa fünfmal fünf Meter oder gar sechsmal sechs Metern einnehmen. Der dritte Abschnitt oberhalb des Tempels war Mitgliedern der Zentralregierung und Personen mit besonderem Beitrag für die Revolution vorbehalten ist. Hier galten keine festen Regeln. Weil die Nachfrage nach Grabstätten von Anfang an groß war, kaufte die Stadtverwaltung schon nach wenigen Jahren mehr Land hinzu und beschränkte die erlaubte Größe für einzelne Gräber in mehreren Schritten. 1956 begann die „Bestattungsreform“, die die Einäscherung popularisieren sollte und diese vor allem für Parteikader dringend empfahl.
In den 1960ern geschah, was Präsident Zhou schon 1949 im Sinn gehabt hatte: der Friedhof diente als Bildungsstätte zur Förderung des revolutionären Geistes. Ab 1962 soll es üblich geworden sein, am chinesischen Totengedenkfest Qingming Pekinger Schüler zu mobilisieren, um auf dem Babaoshan und anderen Revolutionsfriedhöfen Gräber „zu putzen“, um so den revolutionären Geist am Leben zu erhalten.
Nach Maos Aufruf vom August 1966, die „Vier Alten“ – alte Gedanken, alte Kultur, alte Gebräuche und alte Gewohnheiten – zu zerstören, tobten sich Rotgardisten zu Beginn der Kulturevolution auch auf dem Babaoshan Revolutionsfriedhof aus. Wie auch auf anderen Friedhöfen in ganz China wurden hier Gräber in großem Ausmaß zerstört und Leichname ausgegraben. Grabmale wurden mit „Verräter“, „Kapitalist“, „historischer Konterrevolutionär“ und anderen Beschimpfungen beschmiert. Der ehemalige deutsche Botschafter in Peking, Erwin Wickert, schreibt sogar, die Rotgardisten hätten auf dem Babaoshan mit den Schädeln alter Parteigrößen Fußball gespielt. Dies mag ein Grund dafür sein, dass manche hochrangigen Politiker es später vorzogen, ihre Asche verstreuen zu lassen, wie Zhou Enlai und Deng Xiaoping.
1984 wurde dem Babaoshan Revolutionsfriedhof der Status eines nationalen Denkmals der Stadt Peking verliehen und seit 1997 ist er offiziell eine „Basis für patriotische Bildung und Erziehung“ auf Stadtebene, seit 2009 auch auf nationaler Ebene.
Das Gelände
Betritt man den Friedhof durch den im Süden gelegenen Haupteingang, so liegt rechts und links davon der Abschnitt eins für die niederen Kader. Die Gräber aus den 1950er und 60er Jahren liegen in langen ordentlichen Reihen unter schattenspendenden Zypressen und Kiefern, die in China traditionell langes Leben symbolisieren. Die Grabsteine sind grau und schlicht, viele haben oben einen einheitlichen halbrunden Abschluss, darunter einen fünfzackigen, vielleicht ehemals roten Stern und eine schwarz-weiß Porträtaufnahme. Bei Eheleuten scheint es oft das Hochzeitsfoto zu sein. Vorne steht in schwarzer Schrift: Grab des Genossen XY, oder Grab der Eheleute XXYY. Auf den Rückseiten der Grabmale sind ausführlichere Epitaphe eingraviert, meist eine Würdigung des beruflichen Werdegangs und des Charakters. Unterzeichnet sind sie vom jeweiligen Arbeitgeber, da gibt es die Vertretung der Provinz Gansu in Beijing, das Pekinger Gefängnis oder die Volksbank, und sehr oft natürlich die Armee.
In ihrer Formelhaftigkeit erinnern die Epitaphe an moderne Arbeitszeugnisse: „Nach seinem Eintritt in die Armee zeigte sich Genosse Zheng Baozhen standhaft, ehrlich und mutig im Kampf sowie proaktiv bei der Arbeit, oft kam er sogar krank zur Arbeit. Er war unermüdlich und gewissenhaft, und scheute weder Mühen noch Kritik. Für die Sache der Revolution hat er einen entschiedenen Beitrag geleistet und bei uns einen tiefen Eindruck hinterlassen.“
„Genossin Yi Feng liebte ihr ganzes Leben lang ihr Vaterland und die Revolution. Bei der Arbeit schritt sie immer mutig voran und fürchtete keine Mühen. Für die revolutionäre Sache der Partei wendete sie zeitlebens all ihre Energie auf. Genossin Yi Feng starb mit 49 Jahren an Brustkrebs, für den es keine Heilung gab.“
Im April 2018 war am höchstgelegenen nördlichen Ende des Friedhofs ein „Platz zur öffentlichen Erinnerung an Märtyrer“ im Werden begriffen. In der Nähe eine neuangelegte Rasenfläche mit einheitlichen Soldatengräbern: schwarzer polierter Granit, ein Helm, ein Gewehr und ein einzelne Blume. Aufgebrochen wurde das Martialische an einer Grabplatte durch eine gelbe Plastikseerose mit Minilautsprecher, die buddhistische Sutren über die Grasnarbe sendete.
Berühmte Personen auf dem Babaoshan
Die meisten Namen der auf dem Babaoshan Revolutionsfriedhof zur Ruhe gelegten Persönlichkeiten dürften in Deutschland wohl eher unbekannt sein. Das erste Staatsbegräbnis, welches hier abgehalten wurde, war für Ren Bishi, Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas sowie Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees. Er starb am 27. Oktober 1950 im Alter von nur 46 Jahren. Das aus zwei Elementen bestehende Grab (es umfasst eine Fläche von 300 Quadratmetern) wurde von dem berühmten chinesischen Architekten Liang Sicheng entworfen und trägt die Inschrift „Grab des Genossen Ren Bishi“ in der Kalligraphie Mao Zedongs.
In seiner Nähe liegt der 2007 verstorbene Bo Yibo, einer der „Acht Unsterblichen“ der KPCh und Vater des 2012 abgesetzten Politikers Bo Xilai, zusammen mit seiner Frau Hu Ming (1919-1967). Der 1908 geborene Bo war seit 1925 KPCh-Mitglied gewesen, seine Frau wurde in der Kulturrevolution erschlagen. Dieses Grab ist vergleichsweise bescheiden, mit einem schwarzen Granitstein, den Namen in goldfarbener Gravur, und auf dem Stein zwei etwa lebensgroße Schulterbüsten des Paares, freundlich lächelnd.
Wichtige Chinesen aus der Kulturwelt, deren Namen auch im Westen bekannt sind, sind der für seine Pferdedarstellungen berühmte Maler Xu Beihong 徐悲鸿 (1895-1953), der zwischen 1919 und 1928 beinahe zehn Jahre in Europa verbracht hatte, und der Schriftsteller Lao She 老舍 (1899-1966). Lao Shes bekanntestes Werk ist der 1936 erschienene Roman „Rikshakuli“. Lao She ertränkte sich zu Beginn der Kulturrevolution in einem See in Peking, eine Szene, die die Grabmalgestaltung aus dem Jahr 2005 aufnimmt. Da seine Asche nicht aufbewahrt wurde, soll die Urne bei der Gedenkzeremonie für den „Künstler des Volkes“ auf dem Babaoshan Revolutionsfriedhof am 3. Juni 1978 seine Brille, einen Pinsel, etwas Jasmintee und ein Stück blutiger Kleidung enthalten haben.
Nicht-chinesischsprachige Besucher werden sich freuen, auf dem Babaoshan Revolutionsfriedhof einige Grabmale zu finden, auf denen sie etwas mehr lesen können als das Geburts- und Sterbedatum. Es sind die Ruhestätten von Ausländern, die in vielen Fällen bereits vor 1949 die chinesische kommunistische Bewegung in Mao Zedongs Rückzugsort Yan‘an unterstützt und in den 1950ern sogar die chinesische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Deutscher Herkunft sind der Arzt Hans Müller (1915-1994) aus Düsseldorf, der Anfang der 1940er Jahre auf der Flucht vor Hitler nach China kam und sich den Kommunisten anschloss sowie die jüdische Fotografin Eva Siao, geb. Sandberg (1911-2002) aus Breslau, die 1934 den chinesischen Dichter Emi Siao heiratete. Ihr Leben hat Eva Siao in der Autobiografie „China mein Traum mein Leben“ niedergeschrieben. Wie viele sogenannte ausländische Experten und Freunde verbrachte sie ihre letzten Lebensjahre im Pekinger Friendship Hotel. Sie wurde fünf Jahre nach ihrem Tod 2006 auf dem Babaoshan zusammen mit ihrem Mann bestattet.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Friedhofskultur„, Ausgabe März 2022