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Warum ich meine Asche mit meinem Mann auf Weltreise schicken würde

Friedhöfe erzählen Geschichten. Sie sind grüne Lunge, kulturelles Gedächtnis und touristische Attraktion. Doch was hat es mit „Sargpflicht“ und „Friedhofszwang“ auf sich? Und: Was ist der gegenwärtige Wandel in der Bestattungskultur in Deutschland?

Dieser Artikel entstand im Auftrag des Goethe-Instituts Peking und ist Teil des Themenschwerpunkts 4444*.

Vor ein paar Jahren war ich an einem Samstagnachmittag im Juli im Bergmannkiez in Berlin. Mein Mann wollte auf den Flohmarkt, aber ich hatte keine Lust auf die Massen und wollte auch nichts konsumieren. Da fiel mir ein, dass die Mauer, an der wir gerade entlang gelaufen waren, doch eine typische Friedhofsmauer war, und so entdeckte ich den Dreifaltigkeitskirchhof II, an den sich noch drei weitere Friedhöfe anschließen. Auf der anderen Seite der Mauer war es ziemlich still. Verkehrsgeräusche und der Samstagstrubel drangen nur sehr gedämpft über die Mauer. Manchmal raschelte es im Blattwerk oder ein Vogel rief. Wege und Gräber lagen im warmen Sonnenlicht, hohe, alte Bäume boten Schatten. Auf meinem kurzen Erkundungsgang sah ich: ein junges Paar, das auf einer freien Rasenfläche mit seinem krabbelnden Kleinkind spielte; zwei, drei einzelne Menschen auf Bänken, in Bücher vertieft; eine Frau in einer Hängematte! Die Atmosphäre strahlte so viel Frieden aus, dass ich spontan dachte: Hier würde ich später gerne liegen, an so einem stillen, verzauberten Ort mitten in einem lebendigen Kiez, in dieser Oase für Menschen, die etwas Ruhe oder Abstand vom hektischen Alltag suchen. Ist schon klar, dass die Hängematte vielen nicht „pietätvoll“ erscheint, ist sicher verboten, wie auch Fahrradfahren oder Joggen auf Friedhöfen ja für erstaunlich viele Menschen nicht akzeptabel ist. Dabei machen die Fahrzeuge der Gärtnereibetriebe, die meist vormittags unterwegs sind, den meisten Krach. Egal, man spricht halt in Deutschland traditionell von der Totenruhe, die bewahrt werden muss, auch wenn wir nicht wissen, wie wichtig diese Ruhe den Toten eigentlich wäre. Es ist ja auch nicht ganz ausgeschlossen, dass die Frau ihre Hängematte tatsächlich neben einem Grab befestigt hatte, dass für sie eine Bedeutung hat, und ihr Dortsein Teil ihres Trauerprozesses war.

Ein paar Jahre später bin ich noch mal gezielt über die vier Bergmannkiez-Friedhöfe spaziert. Es war ebenfalls Sommer und ich sah viele junge Leute, ich vermute Kunststudentinnen, die Grabsteine oder Details zeichneten. Im Nachhinein können wir also der bürgerlichen Gesellschaftsschicht – den Ärzten, Professoren, Direktoren, Geheimräte und den zahlreichen „Rentiers“, also Personen, die laut Brockhaus „von regelmäßigen Zahlungen aus in Aktien oder Anleihen angelegtem Kapital, der Vermietung von Immobilien oder der Verpachtung von Land lebten“ – äußerst dankbar sein, dass sie vor hundert oder hundertfünfzig Jahren so ein ausgeprägtes Bedürfnis hatte, sich nach ihrem Tod aufwändig und statusgerecht zu präsentieren und viel Geld ausgab, um gewissermaßen „Kunstwerke im öffentlichen Raum“ für künftige Generationen zu schaffen.

Der Direktor der Münchener Friedhöfe sagte in einem Kommentar am Ende der Tagung Sterblichkeit und Erinnerung an der Uni Passau im März 2021 sinngemäß, Friedhöfe seien in erster Linie Orte für jene, die den Tod noch vor sich haben. Auch der Begriff „Entschleunigung“ fiel. Speziell während der Corona-Pandemie seien mehr Besucher als sonst zu sehen, Studentinnen, die hier lernten, und spazierende Eltern mit Kinderwagen. Mal abgesehen von Corona war das ursprünglich eine durchaus gewollte Funktion: Viele europäische Friedhöfe wurden von vornherein als öffentliche Parks angelegt.

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