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Emden. Nicht Winnetou, sondern…

Eigentlich war die Kunsthalle an einem Tag im August 2022 das Ziel des Besuchs in Emden, aber es war wieder einmal der Zufall, der mich zur Großen Kirche Emdens und auf den angrenzenden Friedhof führte. Der Friedhof an der Großen Kirche wird nicht mehr für neue Bestattungen genutzt. Auf den ersten Blick bot er keine Überraschungen, aber dann sprach mich ein Herr an und sagte, „Ich sehe, Sie machen Fotos, darf ich Ihnen das Indianergrab zeigen.“ Ja, vielleicht hätte er „Native American“ oder Ureinwohner sagen sollen, aber manche Veränderungen brauchen halt ihre Zeit. Und so war ich sehr bewegt, von William Big Charger zu erfahren, der zwischen den Weltkriegen mit dem Zirkus Sarrasani unterwegs war und 1932 an einer Lungenentzündung in Emden gestorben ist. Klar, dass man auch über ihn einiges im Internet findet, wenn man weiß, wonach man suchen muss. Ich wurde vor allem hier fündig: https://www.cherokeepath.de/spuren/. William war ein Angehöriger der Lakota-Sioux und Teil der Wild-West-Show des Zirkus Sarrasani. Seine Beerdigung am 31. Mai 1932 war ein großes Ereignis in Emden, wie einem Artikel in der Rhein-Ems Zeitung vom selben Tag zu entnehmen ist:

Bei dem damals 59 jährige William Big Charger kamen alle ärztlichen Bemühungen zu spät, nach zwei Tagen hohem Fieber erlag er im Krankenhaus in Emden einer Lungenentzündung.

Da der Zirkus inzwischen nach Holland weitergereist war, charterte Hans Stosch zwei Busse und fuhr persönlich mit über 100 seiner Angestellten nach Emden zurück, um Big Charger ein ehrenvolles Begräbnis zu geben.

Die Stadt Emden sah nie zuvor solch eine internationale und „bunte“ Trauerfeier, wie an jenem 31. Mai 1932, d.h. neben der Witwe und 21 Sioux Artisten´waren noch Artisten aus 37 Ländern und die argentinische Kapelle Sarrasanis zugegen.

Quelle: https://www.cherokeepath.de/spuren/
Beerdigung von William Big Charger in Emden am 31. Mai 1932. Quelle: Archiv Dietrich Janssen, Emden (Danke an Elke Pascke!)
Grabstelle von William Big Charger in Emden (August 2022, eigenes Foto)

Auf der Website von Elke Paschke heißt es über William Big Charger und seine KollegInnen: „Diese Gruppe war meist bis zum Herbst engagiert (Ende der Zeltsaison) und kam nach einem Heimaturlaub dann im Frühjahr wieder zu Sarrasani zurück.“ Für mich klingt das nach einem guten Arrangement, es war für die Menschen aus den USA eine Gelegenheit, die Welt bzw. Europa kennenzulernen und Geld zu verdienen. Und nach allem was ich weiß, wurden sie sehr positiv und mit viel Bewunderung empfangen. Die Zirkusse und speziell Sarrasani waren internationale Unternehmen, die auf viele Menschen eine große Faszination ausübten, auch als Arbeitgeber, wie in der autobiografischen Darstellung „Zirkus Sarrasani. Hinter den Kulissen einer Weltschau“ von Gustav von Hahnke zu lesen ist. Zu Gustav von Hahnke und der Entstehung des Buches existiert ein Artikel aus dem Spiegel vom 19. März 1948: „Dolmetscher der Tiere„. Das soll natürlich nicht heißen, dass es nicht Formen der „Völkerschauen“ gab, die unmenschlich und rassistisch waren.

In Deutschland ist mindestens noch ein weiteres Grab eines bei Sarrasani beschäftigten Uramerikaners erhalten, und zwar in Dresden. Über den Sioux Edward Two Two, der im Pine Ridge Indianerreservat in South Dakota/USA aufwuchs und 1914 in Deutschland starb, hat die Filmemacherin Bettina Renner 2012 den Dokumentarfilm „Begrabt mein Herz in Dresden“ gemacht. (Der Film ist auf Youtube zu sehen). Es war Edward Two Twos eigener letzter Wunsch gewesen, in Dresden begraben zu werden.

Auf die Spuren, die die internationale Zirkuswelt auf deutschen Friedhöfen hinterlassen hat, war ich zuerst im April 2021 im Bremer Statdteil Woltmershausen gestoßen: Bremen. Der Reiter vom Zirkus Sarrasani. Hier war ein Verkehrunfall der Grund für den frühen Tod.
Falls Ihr andere Grabstätten von Zirkusartisten und -artistinnen kennt, schreibt mir gerne einen Kommentar!

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